Die Clowns und die Seiltänzerin – Freundschaft in finsterer Zeit
Theater-AG begeistert mit Aufführung
Eine Zirkusdirektorin (Iuliia Ankud) bekommt die Nachricht, dass sie als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet wird. Wie sie zu dieser Ehre kommt? Sie erinnert sich…
Geschickt nimmt die Inszenierung (David Götz / Dorothee Paulus / Sarah Wenzel) das Publikum mit auf eine Reise in finstere Zeiten. Die junge jüdische Artistin Irene (Sinah Krause), zunächst umjubelt und hofiert von ihren Klassenkameradinnen, erlebt nach der Machtergreifung der Nazis von einem Tag auf den anderen Ausgrenzung. Und mehr als das: Sie ist in Lebensgefahr, denn die Gestapo (sehr präsent: Eren Göksu, Leo Petak, Yekateryna Tyschchenko) sucht Irene im Zirkus Althoff. Doch die Zirkusdirektorin lässt sich nicht einschüchtern und deckt – unterstützt von ihren Clowns – die jüdische Akrobatin. Wie lange werden sie dem Druck standhalten können?
Geschickt macht sich die Inszenierung den intimen Rahmen des Spielorts zunutze, wo Bühne und Zuschauerraum gleichsam verschmelzen. So etwa, als die drei Gestapo-Polizist*innen auf der Suche nach jüdischen Artist*innen durch die Zuschauerreihen streifen. Der Soundeffekt eines aufgeregt schlagenden Herzens verstärkt den Eindruck der Beklemmung, dem man sich unmöglich entziehen kann.
Das Publikum ist gebannt – und zittert mit der jungen Irene. Der Stoff, den David Götz, Dorothee Paulus und Sarah Wenzel für die diesjährige Aufführung ausgewählt haben, ist kein leichter. Die Handlung wurde von der Theater-AG frei nach der Lebensgeschichte der Zirkusartistin Irene Storms Bento entwickelt. In schlaglichthaften Szenen wird ihre Geschichte erzählt – von der gefeierten Jungartistin zur Ausgestoßenen, Gejagten, schließlich zur Überlebenden.
Denn tatsächlich gelingt es Irene, sich bis zur Befreiung Deutschlands im Zirkus zu verstecken. Ein Happy End also? Ja und nein. Eindrücklich zeigt die Inszenierung mit einem Standbild, das nach und nach immer mehr Figuren verlassen, was passiert ist: Irenes Verwandte sind den Nazis zum Opfer gefallen. Am Ende steht Irene alleine auf der Bühne und spricht das Publikum direkt an: „Ihr seid nicht schuld an dem, was passiert ist. Aber ihr seid verantwortlich dafür, dass es nie wieder passiert.“ Ein eindrücklicher Theatermoment.
Bei aller Dramatik zieht sich das Zirkusmotiv wie ein roter Faden durch die Inszenierung und sorgt für ein Wechselbad der Gefühle – hat man eben noch mit Irene gezittert, so lacht man im nächsten Moment über die Pausenclowns (großartig in der Interaktion: Anna Sikharulidze, Maxim Ulybin) in ihren bunten Kostümen oder bewundert die akrobatischen Verrenkungen der Seiltänzerin (Yekateryna Tyschchenko). Trotz des reduzierten Bühnenbilds gelingt es den jungen Schauspieler*innen, die Leichtigkeit einer farbenfrohen Zirkuswelt zu vermitteln.
Durchweg stark die schauspielerischen Leistungen: Sinah Krause als Irene tritt der Aggression ihrer Schulfreundinnen (kraftvoll: Isabella Akpah, Iuliia Ankud, Maria Papadopoulou) mit einer anrührenden Mischung aus innerer Stärke und Verletzlichkeit entgegen. Iuliia Ankud verkörpert ihre Zirkusdirektorin mit angemessener Grandezza, Olivia Jotter als Irenes Ballettlehrerin überzeugt durch unerschütterliche Haltung, während Yekateryna Tyschchenko als ihr Gegenpart bei der Gestapo Eiseskälte ausstrahlt.
Die Entscheidung von David Götz, Dorothee Paulus und Sara Wenzel, sich abseits der vorgegebenen Pfade zu bewegen und ein eigenes Stück zu entwickeln, war mutig – und den Aufwand, der hinter einer solchen Aufführung steckt, kann man nur erahnen. Umso schöner, dass man allen Beteiligten zu einer rundum gelungenen Premiere gratulieren kann, die noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Text: Kirsten Esser
Fotos: Marcus Stauber